Demografie 2040: Bevölkerungszahlen als geopolitische Machtfaktoren

Das spanische Verteidigungsministerium (Ministerio de Defensa de España) hatte mit der Studie »Panorama de Tendencias Geopolíticas – Horizonte 2040« (2019) ein umfassendes Zukunftsbild sicherheitspolitischer Herausforderungen entworfen. Ein zentrales Kapitel darin, »Demografía« (Seiten 43-51), zeigt, wie stark die Bevölkerungsentwicklung die geopolitische Ordnung bis 2040 und darüber hinaus prägen dürfte. Es ist weniger ein nüchterner Statistikbericht als eine strategische Warnung: Wer verstehen will, wo künftige Spannungen, Migrationsströme und Machtverschiebungen entstehen, muss sich auf die Geburtenraten und Altersstrukturen fokussieren.

Weltweite Verschiebungen: Ein wachsendes Afrika, ein alterndes Europa

Im Jahr 2017 lebten laut der Studie rund 7,4 Milliarden Menschen auf der Erde – fast eine Milliarde mehr als nur zwölf Jahre zuvor. Die Verteilung war damals schon ungleich: 60 Prozent in Asien (4,5 Mrd.), 17 Prozent in Afrika (1,3 Mrd.), zehn Prozent in Europa (742 Mio.), acht Prozent in Lateinamerika (646 Mio.), der Rest in Nordamerika und Ozeanien.

Bis 2030, so die Analyse, wird der demografische Niedergang Europas begonnen haben: ein Verlust von etwa neun Millionen Menschen, vor allem in Ost- und in Südeuropa – mit Rückgängen von jeweils drei Millionen in Russland und der Ukraine (zuzüglich der Kriegstoten und Flüchtlinge), zwei Millionen in Polen und einer Million in Italien, Rumänien und Griechenland. Auch das fernöstliche Japan wird voraussichtlich mindestens sechs Millionen Einwohner (minus 5 %) verloren haben.

Afrika wird dagegen ungebremst weiterwachsen. Sechs Länder – Angola, Burundi, Niger, Somalia, Tansania und Sambia – dürften ihre Bevölkerung bis 2050 verdreifachen, der Kontinent insgesamt seine Bevölkerung verdoppeln. Um 2050 werden 40 Prozent aller Neugeborenen auf der Welt Afrikanerinnen und Afrikaner sein. Zwischen 2050 und 2100 dürfte Afrika auf 4,5 Milliarden Menschen anwachsen, was dann etwa einem Drittel der Weltbevölkerung entspricht.

Das Weltbevölkerungswachstum konzentriert sich insbesondere auf neun Staaten, die zusammen die Hälfte des globalen Bevölkerungszuwachses ausmachen: Indien, Nigeria, Demokratische Republik Kongo, Pakistan, USA, Äthiopien, Tansania, Uganda und Indonesien. Viele dieser Länder sind mehrheitlich muslimisch geprägt.

Die weltweite ›zusammengefasste Geburtenziffer‹ (Total Fertility Rate, TFR) sinkt laut Prognose bis zum Jahr 2100 auf durchschnittlich 2,0 Kinder pro Frau – knapp um das Bestandserhaltungsniveau (2,11) herum. Doch die regionalen Unterschiede bleiben extrem: In Europa stagniert die Geburtenrate, während sie in Subsahara-Afrika noch explosionsartige Allzeithochs erreichen wird.

Geburten: Der Maghreb stagniert, Subsahara-Afrika explodiert

Im Zentrum der Studie stehen die nordafrikanischen und subsaharischen Regionen, die für Spanien und den Rest Europas sicherheitspolitisch besonders relevant sind. Hier treffen zwei gegensätzliche Entwicklungen aufeinander:

  1. Maghreb: In Algerien, Marokko und Tunesien flacht das Bevölkerungswachstum ab. Die Fertilitätsrate liegt bei 2,6 (Algerien) bis 2,15 (Tunesien). Bis 2030 wächst die Bevölkerung noch um elf bis 19 Prozent, danach beginnt sie zu schrumpfen. Die Alterung setzt ein: Die Lebenserwartung steigt im Schnitt um 6,5 Jahre. 2017 waren noch 39 bis 44 Prozent der Bevölkerung unter 25 Jahre, doch dieser Anteil nimmt weiter ab.
  2. Sahelzone: Hier zeigt sich ein anderes Bild. Die Bevölkerung wächst allein schon in der Sahelzone (Übergangsregion zwischen Sahara im Norden und Trockensavanne im Süden) mit Rekordtempo. 60 Prozent der Menschen sind jünger als 25 Jahre, 2050 werden es immer noch 50 Prozent sein. Bis 2050 wächst die Bevölkerung von 78,5 Millionen auf 200 Millionen, bis 2100 auf 434 Millionen. Allein Niger (> 98 % muslimisch) dürfte dann 200 Millionen Einwohner haben – zehnmal so viele wie heute. Niger gehört schon jetzt zu den ärmsten Staaten Afrikas. Sklaverei ist ein weitverbreitetes Phänomen geblieben (die Bertelsmann Stiftung ging in einer Schätzung von 43.000 betroffenen Personen aus). 

Diese Dynamik schafft ein massives Ungleichgewicht: Die Sahelzone allein (als Teil von Subsahara-Afrika) wird dann über doppelt so viele Menschen im arbeitsfähigen Alter verfügen wie Europa. Damit entsteht ein »demografischer Überdruck«, der Migration, Arbeitslosigkeit und Konflikte bis hin zur Unlösbarkeit anheizt.

Zum Vergleich: Bevölkerungsentwicklung in Europa und Subsahara-Afrika von 1950 bis 2100 laut ›UN World Population Prospects 2022‹ (Medium und High Variant, d.h. je nach erwarteter TFR). Europa wächst von rund 547 Millionen (1950) auf etwa 590 Millionen (2100, Medium) bzw. 610 Millionen (High) und zeigt damit eine langfristige Stagnation bzw. leichten Rückgang. Subsahara-Afrika steigt dagegen von 179 Millionen (1950) auf etwa 3,4 Milliarden (2100, Medium) bzw. 4,0 Milliarden (High) – ein Anstieg um fast das Zwanzigfache. Zur Erklärung: Subsahara-Afrika ist Afrika (inkl. Sahelzone) minus Maghreb und Ägypten.

Europa: Schrumpfende Mitte, alternder Kontinent

Für Europa zeichnet die Studie ein deutlich düsteres Bevölkerungsbild. Schon bis 2030 soll die Zahl der europäischen Alteinwohner um drei Millionen sinken. Die Geburtenrate liegt bei 1,6 Kinder pro Frau und steigt bis 2050 nur leicht auf 1,8 – weit unter der für den Bestandserhalt nötigen Rate von 2,11 Kinder. Das bedeutet: Auch 2050 wird Europa Bevölkerung verlieren, rund 23 Millionen Menschen weniger, ein Minus von 3,1 Prozent.

Einige Regionen trifft es härter: In Mitteldeutschland sowie bestimmten Regionen Westdeutschlands (z.B. Herford, Ennepe-Ruhr-Kreis), Polens (Kattowitz und Łódź), Lettlands (Riga), Griechenlands (Athen) und Portugals (Großraum Porto) sind Bevölkerungsverluste von um die 24 bis 30 Prozent zu erwarten. Bulgarien, Kroatien, Litauen und Rumänien verlieren jeweils über 15 Prozent. Bis 2100 schrumpft die europäische Bevölkerung um 73 Millionen – etwa neun Prozent des heutigen Bestands.

Europa wird damit zum »ältesten Kontinent« der Erde. Ab 2030 liegt das Durchschnittsalter bei 45 Jahren. Bis 2050 wird mehr als jeder Vierte 65 Jahre oder älter sein (27,8 %), während der Anteil der 15- bis unter 65-Jährigen auf 57,2 Prozent sinken wird.

Das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Rentnern kippt damit dramatisch und die Sozialsysteme geraten unter Druck. Bereits 2014 lebten 72,5 Prozent der Europäerinnen und Europäer in Städten – bis 2050 werden fast alle Wachstumszonen urbane Metropolräume sein, vor allem in Hauptstädten und Agglomerationen.

Das Sicherheitsrisiko der Demographie

Die spanische Trendanalyse verknüpft die demografische Analyse direkt mit sicherheitspolitischen Schlussfolgerungen. »Humankapital«, heißt es, werde ein »geopolitischer Verstärker« – und damit ein Faktor, der über Stabilität oder Zerfall von Staaten entscheidet.

Wo das Bevölkerungswachstum hoch, das Wirtschaftswachstum aber schwach ist, entsteht eine gefährliche Schieflage. Das gilt besonders für Subsahara-Afrika: Das Bevölkerungswachstum dort werde nicht von einem gleichwertigen ökonomischen Aufschwung begleitet. Folge seien Massenmigrationen aus den am stärksten wachsenden, aber ärmsten Ländern in Richtung der alternden Industriestaaten – vor allem nach Europa, was negative Folgen für die europäische Stabilität und Sicherheit haben wird.

Die Autoren sprechen von einem drohenden »afrikanischen demografischen Tsunami«, »der zum Teil von Europa aufgefangen werden müsse«. Das Problem [Anm. d. Red.]: »Bis 2040 wird Europa voraussichtlich in eine Phase struktureller Schwäche geraten sein. Der fortgesetzte Dekarbonisierungskurs bei gleichzeitig abwandernder Industrie führt zu sinkender Wettbewerbsfähigkeit, steigender Arbeitslosigkeit in klassischen Industriezweigen und wachsender Importabhängigkeit – nicht nur bei Energie, sondern auch bei Hightech-Produkten und Rohstoffen. Die alternde Gesellschaft und die anhaltend niedrige Geburtenrate überlasten Renten- und Sozialsysteme, während der Bildungsstandard und die Innovationskraft vieler Länder abnehmen. Staaten wie Frankreich und Italien, wahrscheinlich auch Deutschland, dürften unter ihrer Schuldenlast eher früher als später ins Wanken geraten, was den Zusammenhalt der EU gefährdet. In diesem Umfeld nimmt China – gemeinsam mit anderen asiatischen und neuen Wachstumszentren – die globale Führungsrolle ein, während Europa wirtschaftlich, technologisch und politisch zunehmend an den Rand gedrängt wird.«

Unabhängig davon: Für Spanien, das geografisch am nächsten liegt, ist das keine abstrakte Projektion, sondern eine Frage nationaler Sicherheit.

Der soziale Sprengstoff Jugend

In der Sahelzone und im Maghreb, so die Studie, könnte das durch Migration ausgelöste Missverhältnis zwischen Bevölkerung und Ressourcen zu einer Vielzahl lokaler Konflikte führen – um Land, Wasser und Viehweiden, häufig maskiert als ethnische oder religiöse Spannungen.

Die gewaltige Zahl junger, arbeitsloser Männer in den Städten und Dörfern sei ein Pulverfass, das leicht durch Populisten oder religiöse Extremisten entzündet werden könne. Chronische Kriminalität sei in vielen Ländern der Region bereits weit verbreitet, und auch der Terrorismus wachse in diesem Umfeld.

Die Prognose ist eindeutig: Terrorismus und organisierte Kriminalität werden sich weiter urbanisieren – hin zu Formen, die besser in die Megastädte Afrikas passen. Diese dann ›verwilderten Städte‹ (Feral Cities) werden bis 2040 bis zu 100 Kilometer groß, oft unregierbar und von unkontrollierter Migration geprägt sein.

Bis dahin wird die Hälfte der afrikanischen Bevölkerung in Städten leben – eine gewaltige Umwälzung, die laut Studie neue Formen von Armut, Instabilität und politischen Ansprüchen hervorbringt.

Migration, Macht und religiöser Wandel

Die demografische Explosion im Sahel und die gleichzeitige Alterung Europas führen zu einem tiefen strukturellen Ungleichgewicht. Migration wird zu einem Dauerphänomen. Je schwächer die Regierungen in Subsahara-Afrika sind, desto weniger gelingt es ihnen, Armut, Hunger und Ungleichheit zu bekämpfen. Bis zum Jahr 2040 müssten in Subsahara-Afrika jeden Monat zwei Millionen zusätzliche Jobs geschaffen werden, um der wachsenden Zahl junger Erwerbsfähiger eine Perspektive zu bieten.

Die Studie warnt, dass Migrationsbewegungen – ob intern, grenzüberschreitend oder interkontinental – nicht nur soziale, sondern auch politische Gleichgewichte verändern könnten. Bevölkerungsgruppen, die heute Minderheiten sind, könnten morgen Mehrheiten bilden. Das könne zu politischen Umbrüchen führen, »die nicht notwendigerweise positiv verlaufen«.

Hinzu kommt ein kulturell-religiöser Faktor: Die Ausbreitung des Wahhabismus und anderer islamisch-fundamentalistischer Strömungen könne die bisher eher traditionellen Formen des Islams in Afrika verändern und den Extremismus verstärken.

Afrikas Aufstieg, Europas Schwäche

In einem geopolitischen Kontext bedeutet das: Die Bevölkerungsgewichte verschieben sich rasant. Während Europa altert und schrumpft, wächst Afrika in einem Tempo, das ihm zunehmend Einfluss in internationalen Organisationen verschaffen könnte. Die Afrikanische Union werde an Bedeutung gewinnen, schreibt das spanische Verteidigungsministerium, ebenso wie ihre interne Machtbalance sich verändern werde. Das könnte neue Ansprüche auf Repräsentation in den Vereinten Nationen oder regionalen Bündnissen wecken – und die bisherige globale Machtverteilung herausfordern.

Die geopolitische Dimension der Zahlen

Hinter den nüchternen Prozentwerten und Wachstumsraten steht eine tiefe strategische Aussage: Demographie ist Schicksal – jedenfalls aus sicherheitspolitischer Sicht.

Ein junger, schnell wachsender Kontinent wie Afrika kann, wenn er wirtschaftlich scheitert, zur Quelle von Instabilität, Migration und Extremismus werden. Wenn er aber prosperiert, könnte er zum dynamischsten Zentrum des 21. Jahrhunderts aufsteigen. Europa dagegen droht, durch Überalterung und demografischen Rückgang an globalem Gewicht zu verlieren – ökonomisch, militärisch und politisch.

Die Studie fasst diesen Zusammenhang mit Blick auf das Jahr 2040 prägnant zusammen: »Das Humankapital wird auch weiterhin ein entscheidender geopolitischer Faktor sein, der massive Veränderungen in der Weltordnung bewirken dürfte.«

Fazit: Eine Zukunft zwischen Überfluss und Leere

Das Kapitel »Demografía« aus Horizonte 2040 ist keine neutrale Bevölkerungsprognose, sondern eine geopolitische Analyse im Dienst der Sicherheitspolitik. Seine Botschaft ist doppelt:

  • Afrika wird zur bevölkerungsreichsten Region der Welt – mit gewaltigen sozialen und politischen Spannungen, aber auch mit Potenzial für Wachstum.
  • Europa wird älter, kleiner und verletzlicher – mit sinkender Bevölkerungszahl, steigendem Durchschnittsalter und sowohl Angriffen durch als auch wachsender Abhängigkeit von Migration.

Ergänzende Studien und Recherchen zeigen: »In Europa wird es 2035 voraussichtlich 50 Millionen Menschen weniger im erwerbsfähigen Alter geben als 2010. Humanoide Roboter sollen diese Lücke schließen und dem chronischen Arbeitskräftemangel entgegenwirken. Ein weiterer Ausgleich soll durch längeres Arbeiten erfolgen. Dänemark etwa hat beschlossen, das Rentenalter bis 2030 auf 68 Jahre, bis 2035 auf 69 Jahre und bis 2040 auf 70 Jahre anzuheben. Basierend auf Modellrechnungen könnte das Renteneintrittsalter auch in Deutschland bis 2040 auf 69 oder 70 Jahre steigen. Nach Angaben der OECD wird Dänemark im Jahr 2060 mit einem Renteneintrittsalter von 74 Jahren an der Spitze in Europa stehen (vorausgesetzt, die Lebenserwartung steigt weiter). Andererseits werden bis 2040 in den fünf größten europäischen Ländern (Deutschland, Frankreich, UK, Italien, Spanien) gleichzeitig rund zwölf Millionen Arbeitsplätze durch Automatisierung verloren gehen, während etwa neun Millionen neue Arbeitsplätze entstehen sollen, von denen aber noch niemand weiß, welche das sein könnten. Eine europäische Absorption des subsaharischen Arbeitskräfteüberschusses dürfte aufgrund von KI, humanoider Robotik, Degrowth bzw. Deindustrialisierung und fehlender Arbeitsplätze faktisch unmöglich und eine bereits gescheiterte Illusion sein.«

Die Welt des Jahres 2040 wird damit eine andere Machtkarte haben – jung und unruhig im Süden, alt und vorsichtig im Norden. Zwischen diesen Polen verlaufen die neuen geopolitischen Bruchlinien, nicht nur zwischen Ideologien, sondern besonders zwischen den Generationen.

© ÆON-Z e.V. Thinktank. Hinweis: Bei der Recherche und Analyse dieses Beitrags wurde unterstützend Künstliche Intelligenz eingesetzt. Die redaktionelle Verantwortung für den Inhalt liegt bei der Redaktion. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved. Nachdruck und Weitergabe an Dritte untersagt.

Diese Seite kann nicht kopiert werden!