Krieg der Zukunft: Wenn das All zum Schlachtfeld wird

Zwei mögliche Wege in die Ära der Weltraumkriegsführung

Wie könnten Kriege im Weltraum in den kommenden Jahrzehnten aussehen? Diese Frage ist längst keine Science-Fiction mehr. Der US-Analyst Peter Garretson, Senior Fellow in ›Defense Studies‹ beim ›American Foreign Policy Council‹, ehemaliger Luftwaffenoffizier und Raumfahrtstratege, hat in seinem Essay »What War in Space Might Look Like in the Next One to Two Decades« zwei Szenarien entworfen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Beide beruhen auf der Annahme, dass der Weltraum zwischen 2030 und 2040 eine zentrale Bühne geopolitischer Machtentfaltung werden wird – ob als verlängerte Front irdischer Konflikte oder als eigenständiger Ort wirtschaftlicher und strategischer Konkurrenz.

Szenario 1: Wenn Kriege auf der Erde beginnen und in den Orbit aufsteigen

Im ersten Zukunftsbild bleibt der Weltraum vor allem ein »verlängerter Arm« der militärischen Infrastruktur auf der Erde. Satelliten liefern Aufklärung, Kommunikation, Navigation und Frühwarnung – sie sind die Augen, Ohren und Nerven moderner Streitkräfte. Wer sie ausschaltet, blendet den Gegner.

In dieser Welt beginnen Konflikte wie bisher auf der Erde: um Territorien, Ressourcen, politische Einflusszonen. Doch sobald dies zum Krieg eskaliert, dehnt er sich fast zwangsläufig in den Orbit aus. Der erste Schlag könnte dabei auf die Weltraumsysteme zielen, die den Gegner unterstützen. Wer in Sekunden die Kommunikations- und Navigationssatelliten des Feindes stört oder zerstört, kann dessen Armeen auf der Erde ins Chaos stürzen.

Garretson beschreibt typische Eskalationspfade: Ein vermeintlich harmloses Manöver eines Satelliten wird als Angriff interpretiert. Eine »Warnung« mit einem Laserblitz oder elektromagnetischer Störung (elektronische Kampfführung) löst einen Gegenschlag aus. Oder ein Land entscheidet sich zu einem präventiven Erstschlag, weil es glaubt, sonst selbst enthauptet zu werden. In allen Fällen wird das Risiko des Missverständnisses zur zentralen Gefahr – der Weltraum als Raum permanenter Nervosität.

Solche Konflikte blieben, so das Szenario, vorerst auf erdnahe Umlaufbahnen beschränkt. Es ginge weniger um Kolonien auf dem Mond oder ferne Außenposten, sondern um das, was direkt über uns schwebt: Satelliten in niedriger und geostationärer Umlaufbahn. Diese könnten mit Hyperschallraketen, Laserwaffen, Cyberangriffen oder »koorbitalen Robotern« (in der Umlaufbahn) gestört oder zerstört werden. Der Weltraum wäre in diesem Fall kein neues Schlachtfeld, sondern die oberste Etage irdischer Machtpolitik – eine »verlängerte Frontlinie« nach oben, nicht mehr und nicht weniger.

Szenario 2: Wenn Kriege im Weltraum beginnen – um Macht, Energie und Ressourcen

Das zweite Bild, das Garretson zeichnet, ist radikaler. Hier ist der Weltraum kein Nebenkriegsschauplatz, sondern der Ort, an dem Machtpolitik ihren eigenen Rhythmus entwickelt. Der Hintergrund: Zwischen 2030 und 2040 könnte die wirtschaftliche Nutzung des sogenannten »Cislunaren Raums« – also des Gebiets zwischen Erde und Mond – rasant zunehmen. Unternehmen und Staaten investieren schon heute in Pläne für Raumstationen, Mondbergbau, Treibstoffdepots, Solarkraftwerke im Orbit und industrielle Fertigungsanlagen im All.

Wenn diese Infrastruktur Wirklichkeit wird, entsteht dort ein eigenständiges Ökosystem aus Fabriken, Tankstationen, Raumhäfen und Versorgungsrouten. Und wo wirtschaftliche Werte entstehen, folgen Sicherheitsinteressen. Staaten werden ihre Anlagen schützen wollen – gegen Piraterie, Sabotage oder die Übernahme durch Konkurrenten.

In dieser Welt wäre ein Krieg im Weltraum kein »Ausläufer« irdischer Kämpfe, sondern könnte aus dem All selbst heraus beginnen. Die Blockade eines Treibstoffdepots am Mond, die Inbesitznahme eines strategisch wichtigen Lagrange-Punkts (Gleichgewichtspunkte zwischen Himmelkörpern) oder der Angriff auf eine konkurrierende Bergbaukolonie könnten Auslöser werden. Konflikte könnten lange andauern, ohne dass sie auf der Erde militärisch eskalieren – ein »Weltraumkrieg im Orbit«, geführt um geoökonomische und astropolitische Interessen.

Dabei verschieben sich die militärischen Anforderungen dramatisch. Anstelle von Raketen, die von der Erde aus gestartet werden, bräuchte man Raumfahrzeuge, die monatelang im Orbit operieren können, mit eigenem Antrieb, Wartungssystemen und vielleicht sogar Besatzungen. Logistik und Energieversorgung werden zu zentralen Fragen. Wer lokal präsent ist, kann handeln; wer nur von der Erde aus operiert, bleibt reaktiv.

Garretson zieht hier eine Parallele zur Seefahrt: So wie im 17. Jahrhundert die Kontrolle der Ozeane über den Zugang zu Handel und Kolonien entschied, könnte im 21. Jahrhundert die Kontrolle über die »Raumlinien« im Cislunaren Raum den Zugang zu Energie und Rohstoffen bestimmen.

Der unsichtbare Schlüssel: Informationshoheit im All

Beide Szenarien – ob »irdisch-aufsteigend« oder »autonom-weltraumbasiert« – hängen an einem zentralen Faktor: der Fähigkeit, den Weltraum zu überwachen. Diese sogenannte Space Domain Awareness (SDA) ist das Rückgrat jeder Strategie. Nur wer genau weiß, wo sich was im All befindet, kann angreifen oder sich verteidigen.

Satelliten, Teleskope und Radarstationen müssen also nicht nur Daten liefern, sondern sie auch vernetzen und interpretieren. Doch je mehr Staaten und private Akteure Satelliten starten, desto dichter und unübersichtlicher wird der Orbit. Das erhöht die Gefahr von Fehleinschätzungen – und macht die Versuchung groß, Systeme des Gegners zu »blenden« oder zu hacken.

Ein weiteres Problem: Weltraummüll. Jeder kinetische Angriff – also jeder Treffer mit Raketen oder Projektilen – erzeugt Trümmer, die jahrzehntelang gefährlich bleiben. Ein »Schuss« im All kann also unbeabsichtigt auch eigene Systeme treffen oder wichtige Orbits dauerhaft kontaminieren. Der Weltraum als »gemeinsames Erbe der Menschheit« würde buchstäblich vermüllt.

Strategische Logiken – und warum Abschreckung im All anders funktioniert

Garretson betont, dass viele im All denkbare Waffen – ob Laser, Störsender oder Antisatellitengeschosse – Offensivvorteile bieten. Wer zuerst zuschlägt, kann überproportional viel gewinnen, weil die Verteidigung schwer ist. Das schafft Instabilität: Staaten könnten sich zu präventiven Angriffen gedrängt fühlen, nur um nicht selbst überrascht zu werden.

Er nennt vier typische Eskalationsmuster:

  1. Selbstverteidigung durch Nähe – Ein Satellit kommt zu nah, man interpretiert es als Angriff.
  2. Warnschuss – Ein Signal, das falsch verstanden wird.
  3. Überraschungsangriff – Ein Gegner schlägt plötzlich zu, um die Orbit-Infrastruktur lahmzulegen.
  4. Präventiver Erstschlag – Aus Angst vor genau diesem Angriff handelt man selbst zuerst.

Das Ergebnis könnte ein Raumkrieg werden, der in Stunden beginnt, aber Jahrzehnte nachwirkt – durch Trümmer, Störungen und zerstörte Infrastruktur.

Die Politik steht vor einem Dilemma

Für die internationale Sicherheitspolitik ergibt sich aus Garretsons Analyse ein klares Dilemma. Die Staaten mit Weltraumzugang müssen sich sowohl auf Konflikte vorbereiten, die vom Boden ausgehen, als auch auf solche, die im All entstehen. Wer nur das eine Szenario einkalkuliert, riskiert blind zu werden für das andere.

Das betrifft mehrere Ebenen:

  • Militärdoktrin: Streitkräfte müssen verstehen, dass Weltraumoperationen mehr sind als die Unterstützung von Bodentruppen. Sie könnten eigenständige Operationen im All führen müssen.
  • Technologie: Raumfahrzeuge für den Cislunaren Raum benötigen völlig neue Antriebs-, Energie- und Wartungssysteme.
  • Völker- und Astrorecht: Der bestehende Weltraumvertrag von 1967 bietet kaum Antworten auf Fragen von Eigentum, Bergbau oder bewaffneter Selbstverteidigung im All.
  • Wirtschaft und Gesellschaft: Die zunehmende Verflechtung von ziviler und militärischer Raumfahrt – von Kommunikationssatelliten bis zu kommerziellen Mondmissionen – macht eine klare Trennung kaum mehr möglich.

Garretson warnt: Wer diese Verflechtung ignoriert, überlässt das Feld denjenigen, die sie strategisch ausnutzen.

Zwischen Macht und Verantwortung

Am Ende bleibt eine doppelte Mahnung. Erstens: Der Weltraum wird unweigerlich vom geopolitischen zum astropolitischen Raum – ob man es will oder nicht. Zweitens: Gerade deshalb sollte die internationale Gemeinschaft frühzeitig Regeln schaffen, um die Eskalation zu verhindern. Denkbar wären Inspektionsmechanismen, »Weltraum-Schutzzonen« oder Verbote bestimmter Waffentypen, bevor sie überhaupt stationiert werden. Noch bestehe die Chance, das Recht dem technischen Fortschritt vorausgehen zu lassen.

Vom »Raum als Rückraum« zum »Raum als Hauptkampfgebiet«

Die zentrale Einsicht seines Essays lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Die Zukunft des Krieges im Weltraum hängt davon ab, ob der Raum weiterhin nur Unterstützung für irdische Kämpfe bleibt oder ob er selbst zum Hauptschauplatz wird.

Beides ist möglich – und beides verlangt völlig unterschiedliche Strategien. Wenn Kriege weiterhin auf der Erde beginnen, bleibt der Weltraum das Terrain der Aufklärung und Kommunikation. Wenn aber wirtschaftliche und strategische Interessen im All selbst entstehen, dann wird der Weltraum zu einem eigenständigen Schauplatz globaler Machtpolitik.

In beiden Fällen gilt: Der Frieden im All wird nicht von allein bestehen. Er muss gestaltet, reguliert und verteidigt werden – bevor die erste echte Schlacht um die Erde über der Erde geführt wird.

Quelle: Basierend auf Peter Garretson: What War in Space Might Look Like in the Next One to Two Decades (Nonproliferation Policy Education Center / American Foreign Policy Council, 2024) sowie ergänzenden Veröffentlichungen und Zitaten in einschlägigen Raumfahrt- und Sicherheitsanalysen.
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