KI dezimiert Karrierechancen der Generation Z

KI dezimiert Karrierechancen der Generation Z

1986 stellte ein Erfinder namens David Humble die erste Selbstbedienungskasse (SB-Kasse) in einer außerhalb von Atlanta gelegenen Filiale von Kroger Co., der größten US-amerikanischen Lebensmittel-Supermarktkette, auf. Dies war ein Wendepunkt für die damaligen Ladenbesitzer, die hofften, »dadurch ihren Gewinn steigern zu können« und gleichzeitig »dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken«. Anders ausgedrückt: Sie hofften, die Zahl der Jobs senken zu können, die über dem damaligen nationalen Mindestlohn von 3,35 US-Dollar pro Stunde zu entgelten waren. Heute beläuft sich der Mindestlohn auf 7,25 US-Dollar.

39 Jahre später haben SB-Kassen die Welt im Sturm erobert. Inzwischen sind weltweit an die 220.000 Selbstbedienungskassen installiert. Diese Technologie kostet nach Schätzungen von Arbeitsmarktexperten innerhalb von zwölf Monaten nach Inbetriebnahme gerade mal 35 bis 40 Prozent dessen, was für einen Einstiegsjob im Einzelhandel zu bezahlen wäre. Doch wer profitiert wirklich von all dieser Technologie?

Mit dieser Frage muss sich die Generation Z (die 1995-2010 Geborenen) bald auseinandersetzen. Nicht nur im Hinblick auf Selbstbedienungs-Systeme, sondern auch auf das explosionsartige Wachstum künstlicher Intelligenz in den Jahren, in denen sie in den Arbeitsmarkt eintreten werden – oder zumindest versuchen, in diesen einzusteigen.

Ein aktueller Bericht der Oxford Economics Group stellt fest, dass die Arbeitslosenquote unter Hochschulabsolventen in den USA steigt. Dies deutet darauf hin, dass offensichtlich »Einstiegspositionen in größerem Umfang durch künstliche Intelligenz verdrängt werden«.

Bei den 22- bis 27-Jährigen ist die Beschäftigung in MINT-Branchen wie der Informatik im Vergleich zu 2022 um acht Prozent zurückgegangen, was auf eine erhebliche Veränderung der Arbeitsmarktnormen hindeutet. »Die Arbeitslosenquote von Hochschul- und Fachhochschulabsolventen lag bisher immer unter dem nationalen Durchschnitt«, heißt es in dem Bericht. Zwar gab es schon immer eine Lücke im Stellenangebot junger Hochschulabsolventen, die auf der Suche nach ihrem ersten »richtigen Job« waren, doch die Zahl derjenigen, die Schwierigkeiten haben, eine Arbeit zu finden, wächst jetzt schneller als die allgemeine Arbeitslosigkeit. Das lässt darauf schließen, dass es für diese Bewerber immer schwieriger wird, überhaupt die erste Sprosse der Karriereleiter zu erreichen.

Diese Ansicht teilt auch LinkedIn-Manager Aneesh Raman, der kürzlich einen Kommentar zum Thema künstliche Intelligenz und den Arbeitsmarkt für akademische Berufsanfänger verfasste.

»Der erste Schritt ist die unterste Sprosse der Karriereleiter«, schrieb Raman. Er nennt die Technologiebranche als Paradebeispiel. Dort werden einfache Programmier- und Debugging-Aufgaben – einst die Herausforderung für junge Softwareentwickler – trotz noch einiger technologischer Mängel schnell durch KI automatisiert.

Weitere Umbrüche sind im Rechtswesen zu beobachten, wo Büroarbeiten auf Einstiegsniveau vermehrt an KI delegiert werden, wie auch im Einzelhandel, wo KI-Chatbots die lästigen Aufgaben des Kundendienstes übernehmen – zum Ärger von Kunden und Angestellten. Raman fürchtet, dass die dadurch ausgelösten Turbulenzen im Angestelltensektor landesweit große Wellen schlagen könnten.

»Wenn Einstiegspositionen verschwinden, werden diejenigen ohne Vitamin B, d.h. ohne persönliche Beziehungen oder privilegierten Hintergrund, noch größere Hürden haben, im Berufsleben Fuß zu fassen«, warnte der LinkedIn-Manager. »Darüber hinaus wirken sich die Folgen großer wirtschaftlicher Veränderungen auf ganze Regionen aus. Als Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe im Herzen Amerikas verschwanden, führte dies nicht nur zu Einkommenseinbußen, sondern auch zu sozialen und politischen Umwälzungen

Ob KI bereit ist, die Jobs zu übernehmen, die typischerweise an Hochschulabsolventen vergeben werden, ist eine ganz andere Geschichte. Viele vorläufige Untersuchungen deuten darauf hin, dass die tatsächlichen Fähigkeiten der Technologie weit hinter der typischen Vorstellung eines KI-dominierten Arbeitsmarktes zurückbleiben.

Raman weist darauf hin, dass in einer LinkedIn-Umfrage unter über 3.000 Unternehmensgrößen »63 Prozent der Meinung waren, dass KI irgendwann einige der alltäglichen Aufgaben ersetzen dürften«, die normalerweise an Einsteiger vergeben werden.

Tatsächlich gibt es Grund zur Annahme, dass diese vielbeachteten Geschichten über KI-»Innovationen« und »Paradigmenwechsel am Arbeitsplatz« in Wirklichkeit nur ein Deckmantel für umfassendere – und perfidere – Trends am Arbeitsmarkt sind, wie etwa die »Gigifizierung« der Arbeit.

Als »Gigifizierung« werden Prozesse bezeichnet, bei denen traditionelle, feste Arbeitsplätze und klassische Dauerarbeitsverhältnisse zunehmend durch kurzfristige, projekt- oder aufgabenbezogene Beschäftigungsformen ersetzt werden – die sogenannten »Gigs«. Viele Gig-Arbeitende sind formal als Scheinselbstständige tätig. Dieser Wandel wird maßgeblich durch digitale Plattformen vorangetrieben und ist ein Kernelement der sogenannten »Gig Economy«.

Unterdessen schlagen Forscher und Gewerkschaftsführer Alarm, dass die Schwächsten im Heer abhängig Beschäftigter – nicht nur Berufsanfänger, sondern auch Minderheiten, Einwanderer und ältere Arbeitnehmer – zu den Ersten gehören werden, die im Zuge der fortschreitenden »KI-Revolution« den Kürzeren ziehen werden. Die gesellschaftlichen Konsequenzen und Herausforderungen für soziale Sicherheit und Arbeitsbedingungen sind nicht einmal ansatzweise durchdacht.

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