Die neue, am 05.12.2025 veröffentlichte »nationale Sicherheitsstrategie« der USA (National Security Strategy 2025), ist weit mehr als eine außenpolitische Standortbestimmung. Sie ist ein ideologisches Manifest der zweiten Trump-Administration, das die strategische Rolle der Vereinigten Staaten neu definiert – und das Verhältnis zu Europa und Deutschland grundlegend infrage stellt. Der Tenor ist unmissverständlich: Die USA werden sich künftig noch konsequenter auf ihre Kerninteressen fokussieren, während Verbündete deutlich mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit übernehmen müssen.
Im Zentrum steht ein Rückbau jener »globalistischen« Ambitionen, die Washingtons Außenpolitik seit dem Kalten Krieg prägten. Die Strategie erklärt diese Ära explizit für gescheitert. Zu lange hätten amerikanische Eliten versucht, »permanente globale Dominanz« anzustreben, internationale Institutionen zu stärken, Freihandelsdogmen zu verteidigen und das amerikanische Volk mit sicherheitspolitischen und ökonomischen Lasten überfordert. Der selbstbewusste Gegenentwurf lautet: »America First« – weder ideologisch, noch isolationistisch, sondern ein pragmatischer Neo-Realismus, der nationale Souveränität, wirtschaftliche Autarkie und Migrationskontrolle ins Zentrum rückt.
Europa im Fokus: Der Kontinent vor einer »zivilisatorischen Krise«
Die Aussagen über Europa gehören zu den schärfsten Passagen des Dokuments. Die USA stellen nicht nur mangelhafte Verteidigungsausgaben in den Vordergrund – sie formulieren einen tiefen zivilisatorischen Zweifel an Europas Zukunft. So diagnostiziert die Strategie einen »Verlust an Selbstvertrauen, Identität und kultureller Stärke« sowie eine »Gefahr der zivilisatorischen Auslöschung«, die binnen zwanzig Jahren den Kontinent grundlegend verändern könne. Gründe seien:
- Migration, die soziale Kohärenz gefährde.
- Geburtenrückgang, der die wirtschaftliche und militärische Zukunft bedrohe.
- Überregulierung und wirtschaftlicher Niedergang, besonders in Deutschland.
- Einfluss transnationaler Organisationen, die demokratische Entscheidungsprozesse schwächten.
Deutschland wird indirekt mehrfach adressiert: als Staat, dessen Energieabhängigkeit von Russland und industrielle Verlagerung nach China beispielhaft für strategische Fehlentscheidungen europäischer Politik stehen. Die Strategie kritisiert scharf, dass deutsche Schlüsselindustrien – etwa Chemieunternehmen – Produktionskapazitäten nach China verlagern, während Berlin seine eigene Energiesicherheit aufs Spiel setze.
Zentral ist der Anspruch: Europa müsse seine »zivilisatorische Selbstsicherheit« zurückfinden, wirtschaftlich deregulieren und sicherheitspolitisch autonomer werden. Die USA wollen weiterhin Partner bleiben – aber nicht länger Schutzmacht einer Region, die aus Sicht Washingtons ihre Prioritäten falsch setzt.
Ukraine: Richtung Frieden – fast um jeden Preis
Im Gegensatz zur bisherigen westlichen Linie fordert Washington in diesem Dokument eine schnelle diplomatische Beendigung des Ukraine-Krieges. Ein rascher Waffenstillstand sei nötig, um »europäische Stabilität wiederherzustellen« und eine unkontrollierte Eskalation mit Russland zu vermeiden. Die USA positionieren sich damit offen gegen jene europäischen Regierungen, die laut Strategie »unrealistische Erwartungen« verfolgen und innenpolitisch krisenanfällig seien.
Neue Lastenteilung: Fünf Prozent Verteidigungsausgaben als NATO-Pflicht
Die USA machen deutlich, dass ihre militärische Rolle in Europa reduziert wird. Die NATO soll sich nicht weiter ausdehnen, und europäische Staaten sollen jährlich mindestens fünf Prozent ihres BIP für Verteidigung aufwenden – eine radikale Abkehr vom früheren Zweiprozent-Ziel. Die USA verstehen sich künftig als koordinierender Akteur, nicht mehr als sicherheitspolitischer »Atlas« der westlichen Welt.
Diplomatische Neuorientierung: Europa als Kulturraum, nicht als geopolitischer Dreh- und Angelpunkt
Ein bemerkenswerter Aspekt des Dokuments ist seine kulturell-zivilisatorische Rhetorik. Die USA betonen ihre emotionale und historische Verbundenheit mit Europa, insbesondere mit Großbritannien, Irland und jenen Staaten, die Washingtons Werte noch teilen. Gleichzeitig wird klar: Künftige Investitionen und politische Aufmerksamkeit sollen sich stärker auf jene europäischen Länder konzentrieren, die sich als »gesund« und kooperationsbereit erweisen – darunter viele mittel- und osteuropäische Staaten.
Wie reagieren Europa und Deutschland?
Erste Stellungnahmen europäischer Experten und Politiker fallen gespalten aus. Viele außenpolitische Analysten in Brüssel und Berlin warnen vor einer »strategischen Entkopplung«, die Europa sicherheitspolitisch verletzlicher machen könnte. Deutsche Regierungsvertreter kritisieren vor allem die Diagnose der »zivilisatorischen Krise« als ideologisch überzogen und warnen vor einem Bruch der transatlantischen Geschlossenheit. In Osteuropa hingegen – etwa in Polen oder Ungarn – findet der Appell zu mehr Souveränität und kultureller Selbstbehauptung Anklang. Vertreter dieser Regierungen begrüßen vor allem die amerikanische Forderung nach schnellerem Frieden in der Ukraine.
Prognose: Was die nächsten Jahre bringen könnten
Sollte diese Strategie konsequent umgesetzt werden, steht Europa vor einer Epoche tiefgreifender Neuorientierung. Die USA werden ihre militärische Präsenz vermutlich schrittweise zurückfahren, besonders in Deutschland. Washington wird politische und wirtschaftliche Kooperation künftig stärker an Bedingungen knüpfen – vor allem an Deregulierung, Energiesicherheit und höhere Verteidigungsausgaben. Gleichzeitig werden die USA versuchen, Europa geopolitisch zu stabilisieren, um sich wirtschaftlich und militärisch auf Asien zu konzentrieren.
Europa wiederum wird gezwungen sein, entweder eine neue sicherheitspolitische Eigenständigkeit zu entwickeln – oder ein geopolitisches Machtvakuum zu riskieren. Die Fähigkeit Deutschlands, binnen weniger Jahre seine wirtschaftliche Basis zu stärken und seine militärischen Pflichten zu erfüllen, wird entscheidend sein. Gelingt dies nicht, könnten osteuropäische Staaten künftig zu Washingtons wichtigsten kontinentalen Partnern aufsteigen.
Fest steht: Mit dieser Strategie beginnt eine neue, unruhige Phase in den transatlantischen Beziehungen – geprägt von Selbstbehauptung, Neujustierung, aber auch von der Chance, das Verhältnis auf eine nachhaltigere Basis zu stellen.
Strategische Analyse
Die neue US-amerikanische Sicherheitsstrategie von November 2025 signalisiert für Fachanalysten eine klar definierte, strategische Reorientierung, die das internationale System spürbar verändern dürfte. Sie stellt eine programmatische Abkehr von liberal-internationalistischen Grundannahmen der letzten drei Jahrzehnte dar und ersetzt sie durch eine souveränitätszentrierte, ökonomisch-protektionistische und geopolitisch selektive Außenpolitik. Die USA definieren ihre Rolle nicht länger als Garant einer globalen Ordnung, sondern als Akteur, der seine Macht gezielt dort einsetzt, wo unmittelbare nationale Interessen berührt sind. Für Europa bedeutet dies eine tektonische Veränderung: Wo frühere Strategiepapiere vor allem auf Belastungsteilung drängten, fordert Washington nun einen substanziellen strukturellen Wandel europäischer Politik – sicherheitspolitisch, wirtschaftlich und kulturell.
Die Aussagen zur EU und auch zu Deutschland lassen erkennen, dass Washington Europas strategische Leistungsfähigkeit nicht nur als unzureichend, sondern als politisch und gesellschaftlich erodierend einschätzt. Dass der Kontinent als zivilisatorisch gefährdet beschrieben wird, spiegelt ein neues Narrativ der US-Regierung wider: Europa verliere seine normative, demografische und wirtschaftliche Grundlage. Für transatlantische Sicherheitsexperten bedeutet dies, dass Washington Europas Fähigkeit zur Selbstbehauptung infrage stellt und das langfristige Bündnisrisiko nicht mehr primär in militärischer Unterfinanzierung, sondern in politischer Dysfunktion und gesellschaftlicher Fragmentierung verortet.
Die Ukraine-Passage ist geopolitisch besonders relevant. Während europäische Staaten weiterhin auf eine umfassende Wiederherstellung ukrainischer Souveränität drängen, betrachtet Washington eine schnelle Konfliktbeendigung als strategische Notwendigkeit, um eine unkontrollierbare Eskalation und die dauerhafte Bindung westlicher Ressourcen zu vermeiden. Damit wird deutlich, dass die USA die europäische Ostpolitik künftig weniger als gemeinsames Projekt, sondern als regionales Thema europäischer Verantwortung verstehen. Das US-Narrativ rückt die Konfliktbegrenzung über den Konfliktausgang und verschiebt das strategische Zentrum zurück in den indo-pazifischen Raum.
Für Fachkreise besonders bemerkenswert ist die kulturpolitische Dimension des Textes. Anders als klassische sicherheitspolitische Strategien formuliert dieses Dokument normative Erwartungen an Verbündete: nationale Souveränität, kulturelle Kohärenz, marktorientierte Deregulierung und robuste sicherheitspolitische Autonomie. Die US-Regierung macht damit keinen Hehl daraus, dass sie künftig differenziert zwischen europäischen Partnern agieren wird. Länder mit klarem geopolitischem Profil – etwa Polen – erscheinen als bevorzugte Stabilitätspartner. Deutschland hingegen wird indirekt als ökonomisch und energiepolitisch strategisch fehleranfällig beschrieben, was sich mittelfristig auf bilaterale Prioritäten auswirken dürfte.
Insgesamt verdeutlicht das Papier eine multipolare Anpassung: Die USA reduzieren ihre Rolle als globales Zentrum westlicher Sicherheit, verstärken aber gleichzeitig ihre Erwartung, dass Europa seine strategische Handlungsfähigkeit selbst entwickelt. Für Europa bedeutet dies nicht nur höhere Verteidigungsausgaben, sondern einen Paradigmenwechsel in Sicherheits-, Energie- und Wirtschaftspolitik. Sollte dieser Wandel ausbleiben, dürfte Washington seine strategische Aufmerksamkeit weiter in den indo-pazifischen Raum verlagern, während Europa zunehmend als peripherer, politisch fragmentierter, wenngleich kulturell bedeutsamer Teil der westlichen Welt wahrgenommen wird.
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