Wird der Sahel weltweite »Dschihadistenhochburg«?

In den vergangenen Jahren hat sich die Sahelzone zu einem der dynamischsten und zugleich gefährlichsten Schauplätze dschihadistischer Mobilisierung außerhalb des Nahen Ostens entwickelt. Die Eskalation ist kein singuläres Phänomen: Burkina Faso, Niger und angrenzende Regionen – insbesondere jedoch Nigeria und Mali – verzeichnen seit 2022 eine starke Zunahme bewaffneter Gruppen, die lokale Konflikte schüren, Entführungen begehen und Angriffe auf die lokalen Sicherheitskräfte verüben.

Wie das Machtvakuum im Sahel die Gewalt eskaliert

Zentrales Element dieser Entwicklung war das Entstehen eines strukturellen Machtvakuums – begünstigt durch den Abzug westlicher Truppen, interne Militärputsche und eine dauerhaft schwache Präsenz der Zentralregierungen in weiten Teilen ihrer Länder.

In Mali etwa haben die Sicherheitsgremien in den vergangenen Monaten wiederholt vor einer rapiden Verschlechterung der Lage gewarnt. Die lokalen Verwaltungen sind vielerorts faktisch handlungsunfähig. Ähnlich alarmierend ist die Situation in Nigeria: dort zwingen Entführungen und koordinierte Angriffe den nigerianischen Präsidenten Bola Tinubu zur Ausrufung eines landesweiten Sicherheitsnotstands, verbunden mit einer massiven Aufstockung von Polizei- und Militärkräften.

Diese Entwicklungen treffen auf ein sozioökonomisches Gefüge, das anfällig für eine dschihadistische Rekrutierung ist: junge, marginalisierte Menschen, zerfallende staatliche Dienstleistungen und wachsende Klimabelastungen schaffen ein Potenzial an Missmut, das Extremisten bereitwillig ausnutzen.

Die dschihadistischen Netzwerke selbst operieren inzwischen »heterarchisch« (selbststeuernd), also gleichberechtigt und dezentral: lokale Milizen knüpfen taktische Allianzen mit transnationalen Akteuren, tauschen Kämpfer und Methoden aus und nutzen moderne Kommunikationswege für die Rekrutierung und Propaganda. Die Finanzierung erfolgt oft durch Viehdiebstahl, Entführungen und Geiselnahmen, Lösegelderpressungen sowie die Kontrolle der Schmuggelrouten und des illegalen Handels – was den Gruppen eine recht stabile materielle Basis verschafft.

Außerdem hat die Abkehr einiger Sahelländer von traditionellen westlichen Partnern und die Suche nach neuen externen Sicherheitsgarantien (etwa private Militärdienstleister) die geopolitische Lage weiter verkompliziert. Die Folge ist nicht nur ein lokaler Sicherheitsverlust, sondern die Ausweitung gewaltsamer Strukturen, die grenzüberschreitend wirken: terroristische Angriffswellen, Flüchtlingsströme und die Verlagerung krimineller Ökonomien betreffen inzwischen auch die westafrikanischen Küstenstaaten. Die humanitären Folgen sind massiv: Hunderttausende Binnenflüchtlinge, überforderte Nachbarstaaten und eine explosive demografische Entwicklung, die mittel- und langfristig jede Gesellschaft destabilisieren.

Die Antwort der Staaten bleibt zwiespältig. Einige Regierungen setzen auf verstärkte Militärpräsenz und Notstandsdekrete, andere auf internationale Kooperationen – doch viele Maßnahmen wirken reaktiv, nicht präventiv. Internationale Sicherheitsexperten betonen, dass allein militärische Lösungen nicht ausreichen: Langfristige Stabilität erfordert Investitionen in Rechtstaatlichkeit, in die lokale Verwaltung, wirtschaftliche Chancen für die breite Bevölkerung, vor allem für die Jugend – sowie überfällige Versöhnungsprozesse.

Gleichzeitig zeigt die Erfahrung der letzten Jahre, dass externe militärische Präsenz ohne Rückbindung an legitime lokale Institutionen kaum nachhaltig ist. Der umstrittene Abzug französischer und anderer ausländischer Truppen hat das Vertrauen in solche Partnerschaften untergraben. Für Regionen wie Nord-Mali oder die nördlichen Teile Nigerias (mit den Terrorgruppen Boko Haram und ›Islamic State – West Africa Province‹) bedeutet das: Wenn die Zentralstaaten unfähig zur Wiederherstellung einer effektiven, regelbasierten Regierungsführung sind, schaffen nichtstaatliche Akteure parallele Ordnungen – mit all den Risiken für Menschenrechte und Sicherheit.

Welche Szenarien sind nun wahrscheinlich? Kurzfristig ist mit einer Fortsetzung lokaler Gewaltausbrüche und punktuellen Machtverschiebungen zu rechnen, begleitet von weiteren Fluchtbewegungen und einer Verknappung staatlicher Ressourcen.

Mittelfristig besteht die realistische Gefahr, dass dschihadistische Milizen in bestimmten Korridoren mehr territoriale Kontrolle erlangen – nicht unbedingt in Gestalt einer klassischen Staatsgründung, wohl aber als parallele Ordnung mit autonom operierenden Machthabern. Langfristig sind zwei Entwicklungspfade denkbar: Entweder gelingt es einer koordinierten internationalen und lokalen Strategie, die staatliche Regierungsfähigkeit wiederherzustellen und ökonomische Perspektiven zu eröffnen; oder die Region zerbricht in fragmentierte Zonen, in denen irreguläre bewaffnete Gruppen dauerhafte Einflusszonen errichten.

Der Preis des Nichthandelns: dauerhafte Destabilisierung

Für Politik und Öffentlichkeit heißt das: Prävention ist teurer als Intervention – doch legitime, inklusiv verankerte Lösungen sind die einzige nachhaltige Versicherung gegen die Entstehung dauerhafter Dschihadistenhochburgen in Afrika mit möglicherweise gravierenden Auswirkungen bis nach Zentraleuropa.

Die Sahelzone ist 2025 ein sicherheitspolitischer Brennpunkt, weil staatliche Schwäche, geopolitische Verschiebungen und ökonomische Notlagen zusammenkommen; die Abkehr westlicher Militärpräsenz hat kurzfristig Räume geöffnet, die bewaffnete Verbrecher- und Terrorgruppen umgehend ausnutzten. Rein militärische Reaktionen ohne sozioökonomische und rechtsstaatlich fundierte Begleitmaßnahmen werden die Gefahr nicht bannen.

Wahrscheinliche Zukunftsaussichten: Ohne einen umfassenden, länderübergreifenden Politikwechsel – national wie international – bleibt die Aussicht, dass sich Teile des Sahel zu dauerhaft umkämpften Einflusszonen islamextremistischer Gruppen verfestigen. Mit gezielten Investitionen in die lokale Verwaltung, Sicherheitspartnerschaften, Klimaanpassung, Deradikalisierung und die gesellschaftliche Wiedereingliederung einer »verlorenen Jugend« wäre eine Stabilisierung möglicher- und ansatzweise erreichbar. Wie realistisch und überhaupt erfolgreich dies ist oder sein könnte, muss momentan unbeantwortet bleiben …

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