Baden-Württemberg erlebt einen tiefgreifenden demografischen Wandel. Die Bevölkerungsentwicklung im Südweststaat ist geprägt von zwei gegenläufigen Trends: sinkenden Geburtenzahlen und einer rasch alternden Gesellschaft. Diese Veränderungen werden das Zusammenleben, die Infrastruktur und die sozialen Sicherungssysteme in den kommenden Jahrzehnten grundlegend prägen und in Spannung versetzen.
Geburtenrückgang setzt sich fort
Die zusammengefasste Geburtenziffer – ein Maß dafür, wie viele Kinder eine Frau im Laufe ihres Lebens durchschnittlich bekommen würde – ist in Baden-Württemberg im Jahr 2024 auf 1,39 Kinder je Frau gesunken. Damit liegt sie deutlich unter dem Wert von 1,63 aus dem Jahr 2021, als die höchste Geburtenrate seit 1972 verzeichnet wurde. Auch im bundesweiten Vergleich zeigt sich: Die Geburtenziffer liegt weit unter dem sogenannten Bestandserhaltungsniveau von 2,11 Kindern je Frau – jenem Wert, bei dem die Kindergeneration zahlenmäßig die Elterngeneration ersetzen würde. Zuletzt wurde dieser Wert in Baden-Württemberg im Jahr 1970 erreicht.
Die Folgen sind bereits spürbar: Im Jahr 2024 wurden in Baden-Württemberg etwa 97.500 Kinder lebend geboren – rund 900 weniger als im Vorjahr und bereits zum zweiten Mal seit 2014 weniger als 100.000. Gegenüber 2021 ist die Zahl der Neugeborenen sogar um 16.000 gesunken. Die Gründe für diesen Rückgang sind vielfältig: Verschlechterte Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch Personalmangel in Kindertagesstätten, steigende Wohnkosten und höhere Kita-Gebühren zählen zu den Faktoren, die junge Paare von der Familiengründung abhalten.
Deutliche regionale Unterschiede
Innerhalb Baden-Württembergs zeigen sich erhebliche Unterschiede bei den Geburtenraten. Spitzenreiter ist der Landkreis Tuttlingen mit 1,72 Kindern je Frau, gefolgt von den Landkreisen Rottweil und Calw (jeweils 1,65). Am unteren Ende der Skala finden sich die Universitätsstädte: Heidelberg weist mit 0,99 Kindern je Frau die niedrigste Geburtenziffer auf, gefolgt von Karlsruhe (1,08), Freiburg (1,10), Stuttgart (1,11) und Mannheim (1,18). Die fünf einwohnerstärksten Städte des Landes haben damit gleichzeitig die niedrigsten Geburtenziffern.
Dieses Stadt-Land-Gefälle ist kein Zufall: In Hochschulstädten leben viele junge Frauen, für die Studium und Berufseinstieg Priorität haben und bei denen eine Familiengründung noch in der Zukunft liegt. Zudem spielt die unterschiedliche Zusammensetzung der Bevölkerung eine Rolle.
Migration prägt die Geburtenraten
Ein bedeutender Faktor für die Geburtenentwicklung ist die Einwanderungsgeschichte der Bevölkerung. In Baden-Württemberg lebten 2023 etwa 3,7 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund – das entspricht rund einem Drittel der Gesamtbevölkerung. Der Ausländeranteil lag 2023 bei 18,5 Prozent und damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 15,2 Prozent.
Die Geburtenziffer ausländischer Frauen lag 2024 bei 1,73 Kindern je Frau und damit deutlich über der von deutschen Frauen (1,30). Allerdings zeigt sich auch bei ausländischen Frauen ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr (1,76). Dieser Unterschied wirkt sich regional unterschiedlich aus: In Gemeinden mit höherem Anteil ausländischer Bevölkerung fallen die Geburtenziffern tendenziell höher aus. Die Herkunftsstruktur der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist dabei bis heute geprägt von den Gastarbeitern der 1950er bis 1970er Jahre: Italien, Griechenland und die Türkei gehören zu den wichtigsten Herkunftsländern, ergänzt durch Rumänien, Polen und die Nachfolgestaaten Jugoslawiens.
Die Gesellschaft altert rasant
Während immer weniger Kinder geboren werden, steigt die Zahl älterer Menschen kontinuierlich. Ende 2023 lebten in Baden-Württemberg rund 2,38 Millionen Menschen im Alter von 65 Jahren und älter. Seit der Jahrtausendwende hat diese Altersgruppe um 42 Prozent zugenommen – während die Gesamtbevölkerung nur um sieben Prozent wuchs. Die Prognosen zeigen: Dieser Trend wird sich fortsetzen. Bis 2030 könnte die Anzahl der über 65-Jährigen um weitere 340.000 auf 2,71 Millionen steigen, bis 2040 sogar um 550.000 auf 2,93 Millionen. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung würde damit von derzeit 21 Prozent auf voraussichtlich 25 Prozent im Jahr 2040 anwachsen.
Besonders deutlich wird diese Entwicklung bei den Hochbetagten: Die Zahl der Menschen ab 75 Jahren dürfte aufgrund der großen Babyboomer-Generation (Jahrgänge 1955-) bis 2040 landesweit um rund ein Drittel zunehmen. Die Landeshauptstadt Stuttgart zählte im Jahr 2023 rund 59.770 Personen mit einem Alter ab 75 Jahren. Bis 2040 dürfte diese Zahl um etwa 13,6 Prozent auf 67.883 Über-75-Jährige zunehmen. Noch drastischer fällt der Anstieg in manchen kleineren Städten aus: In der Großen Kreisstadt Filderstadt nimmt die Zahl der Menschen ab 75 Jahren um 34,4 Prozent zu – von 4.706 Personen (2023) auf 6.324 bis 2040. In einzelnen Landkreisen wie Schwäbisch Hall wird sogar ein Anstieg um 60 Prozent erwartet.

Diagramm: Bevölkerungsentwicklung in Baden-Württemberg (1970–2070) zzgl. Entwicklung der Zunahme der über 65-Jährigen. Die Abbildung visualisiert die historische Bevölkerungsentwicklung Baden-Württembergs von 1970 bis 2022 sowie die projizierte Entwicklung bis 2070, ergänzt durch die Entwicklung der Bevölkerungsgruppe der über 65-Jährigen. Die historische Gesamtbevölkerung (graue Linie) startete im Jahr 1970 bei 8,95 Millionen und erreichte im Jahr 2022 einen Wert von 11,28 Millionen Einwohnern. Bevölkerungsprojektionen (2023-2070): Die Projektionen setzen die historische Entwicklung ab dem Jahr 2023 fort und reichen bis 2070. Die Entwicklung der über 65-Jährigen (schwarze Linie unten) zeigt einen kontinuierlichen Anstieg. Im Jahr 1990 umfasste diese Gruppe 1,40 Millionen Personen und wird bis zum Jahr 2040 voraussichtlich auf 2,93 Millionen anwachsen.
Herausforderungen für die Rentenversicherung
Diese demografische Verschiebung stellt die sozialen Sicherungssysteme vor erhebliche Herausforderungen. Der sogenannte Altenquotient – das Verhältnis der über 65-Jährigen zu den Menschen im erwerbsfähigen Alter von 20 bis unter 65 Jahren – macht dies deutlich: Während 1990 auf 100 Personen im Erwerbsalter lediglich 22 Ältere kamen, sind es derzeit bereits 36. Bis 2030, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der frühen 1960er Jahre (die Babyboomer) überwiegend aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sein werden, könnte dieser Wert auf 42 steigen, bis 2040 sogar auf 45.
Die steigende Lebenserwartung verstärkt diesen Effekt zusätzlich: Ein neugeborener Junge kann heute in Baden-Württemberg auf eine durchschnittliche Lebenserwartung von knapp 80 Jahren hoffen, ein neugeborenes Mädchen sogar auf rund 84 Jahre. Damit liegt die Lebenserwartung um gut 9 Jahre bei den Frauen beziehungsweise um rund 11 Jahre bei den Männern höher als Anfang der 1970er Jahre.
Allerdings könnten die tatsächlichen ökonomischen Belastungen weniger stark zunehmen als diese Zahlen suggerieren: Die Erwerbsbeteiligung der Frauen wird voraussichtlich weiter steigen, und auch die Zahl älterer Menschen, die erwerbstätig sein werden, könnte sich noch erhöhen. Dennoch zeichnet sich ab: Die Kommunen müssen sich auf tiefgreifende Veränderungen einstellen – von der Bereitstellung altersgerechter Wohnungen und Pflegeplätze bis hin zur Anpassung der sozialen Infrastruktur.
Unterschiedliche Betroffenheit: Stadt und Land
Besonders betroffen von der Überalterung sind Kleinstädte und ländliche Gebiete: Hier dürfte die Zahl der Menschen ab 75 bis 2040 um rund die Hälfte steigen, in den Großstädten beträgt der erwartete Zuwachs hingegen nur 23 Prozent. Gleichzeitig wird auch die Zahl der Kinder im Kita- und Kindergartenalter zurückgehen: 2023 lebten in Baden-Württemberg rund 655.000 Kinder unter sechs Jahren, bis 2040 dürfte diese Zahl auf 597.000 sinken – ein Rückgang um neun Prozent. In ländlichen Regionen wie Biberach und Tuttlingen fällt das Minus mit 15 beziehungsweise 16 Prozent deutlich stärker aus als in Großstädten wie Mannheim (-4 %) und Stuttgart (-6 %).
Bevölkerungsforscher Frank Swiaczny vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung warnt vor den sozialen Folgen dieser Entwicklung: »Wenn die Bevölkerung altert oder schrumpft, muss vielleicht der Supermarkt oder die Kneipe schließen. Das sind wichtige soziale Ankerpunkte, die in manchen Orten dann einfach verschwinden.« Auch das Ehrenamt, auf das viele Gemeinden angewiesen sind, steht unter Druck: Ältere Menschen können sich oft nicht mehr in Vereinen oder der Freiwilligen Feuerwehr engagieren.
Ausblick: Handlungsbedarf für die Politik
Die Bevölkerungsberechnungen des Statistischen Landesamts liefern keine unumstößlichen Vorhersagen, aber sie zeigen klare Trends auf. Unvorhersehbare Ereignisse wie die Corona-Pandemie oder der Ukraine-Krieg können die Entwicklung beeinflussen, ebenso wie politische Entscheidungen zur Familien-, Migrations- oder Arbeitsmarktpolitik. Dennoch zeichnet sich ab: Baden-Württemberg steht vor einem demografischen Umbruch, der frühzeitige Weichenstellungen erfordert.
Die Herausforderungen sind vielfältig: Es braucht mehr Pflegekräfte und altersgerechte Wohnungen, aber auch bessere Kinderbetreuung und bezahlbaren Wohnraum für junge Familien. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss verbessert werden, um dem Geburtenrückgang entgegenzuwirken. Gleichzeitig gilt es, die Integration der Menschen mit Migrationshintergrund zu fördern – sie stellen bereits heute ein Drittel der Bevölkerung und werden für die Zukunftsfähigkeit des Landes eine wichtige Rolle spielen. Offen ist nur deren Richtung …
Baden-Württemberg profitiert im Vergleich zu anderen Bundesländern von seiner wirtschaftlichen Stärke, die zwar weiterhin junge Menschen anzieht, gleichzeitig aber aufgrund politischer Vorgaben unter schwerem Beschuss steht. Doch auch der bislang wirtschaftsstarke Südwesten kann sich den demografischen Realitäten nicht entziehen. Die Modellrechnungen machen deutlich: Je früher Politik und Gesellschaft diese Entwicklungen ernst nehmen und gegensteuern, desto besser lassen sich die Herausforderungen bewältigen. Die Frage ist nicht, ob Baden-Württemberg fällt, sondern wie es landet. Auch diese Zukunft wird nichts weiter als der Schatten vergangener Entscheidungen (oder Versäumnisse) gewesen sein.
Quellen
1. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg: Pressemitteilungen zur Geburtenziffer und Bevölkerungsentwicklung (2025).
2. SWR Data Lab: Bevölkerungsberechnung Baden-Württemberg bis 2040.
3. Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB).
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