Die Nobelpreis-Runde 2025 offenbarte einmal mehr die Bandbreite menschlicher Höchstleistungen: Von bahnbrechenden Entdeckungen in der Immunologie über Quantentechnologie bis hin zu literarischen Visionen und mutiger politischer Überzeugung. In der Medizin wurden Mary E. Brunkow, Fred Ramsdell und Shimon Sakaguchi für ihre Forschungen zur Immuntoleranz ausgezeichnet, deren Erkenntnisse künftig Autoimmunerkrankungen, Transplantationen und Krebsbehandlungen verändern könnten. Der Chemiepreis ging an Susumu Kitagawa, Richard Robson und Omar Yaghi – ihre Entwicklung metallorganischer Gerüstverbindungen ebnet neue Wege, z.B. zur Wassergewinnung aus trockener Luft und zur CO₂-Abscheidung.
Die ›Tagesschau‹ berichtete¹ am 07.10.2025: »Durch Wände gehen, tot und lebendig gleichzeitig sein, quasi telepathisch kommunizieren, egal über welche Distanz. Was nach Science-Fiction klingt, ist die reale Welt der Quantenteilchen. Dass auch größere, für uns erfassbare Systeme diesen seltsamen Regeln folgen können, zeigten die drei Physiker John Clarke, Michel H. Devoret und John M. Martinis.« Sie erhielten den Physik-Nobelpreis 2025 für die Entdeckung des makroskopischen quantenmechanischen Tunnelns und der Energiequantisierung in einem elektrischen Schaltkreis. – In den 1980er-Jahren bauten sie supraleitende Kreise (unter anderem mit Josephson-Junctions) und zeigten, dass quantenmechanische Phänomene – wie das Durchtunneln (»Tunnelling«) und diskrete Energiezustände (»energy quantisation«) – nicht nur auf atomarer Skala, sondern auch in Systemen beobachtet werden können, die groß genug sind, um körperlich greifbar zu sein.

Die Zahl deutscher Nobelpreisträger erreichte in den 1920er-Jahren ihren Höhepunkt. Doch vom Glanz vergangener Zeiten ist wenig geblieben: Nach einer Blütezeit um 1920 und 1950 sinkt die Zahl der Nobelpreise für Deutsche kontinuierlich. Deutschland hat seine wissenschaftliche Tradition nicht verloren – aber die Rahmenbedingungen für bahnbrechende Entdeckungen haben sich verlagert. Heute prägen strukturelle Trägheit, internationale Konkurrenz und ein Mangel an Risikofreude das Bild, während die Nobelpreise zunehmend global verteilt werden.
Deutschlands Nobelpreis-Ära scheint vorbei zu sein
Der letzte Nobelpreis, den ein Deutscher bislang (2025) erhielt, wurde im Jahr 2021 vergeben: Der Chemiker Benjamin List (geb. 1968) wurde damals für die Entwicklung der asymmetrischen Organokatalyse mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Im selben Jahr erhielt Klaus Hasselmann (geb. 1931), Meteorologe und Klimatologe aus Deutschland, gemeinsam mit Syukuro Manabe und Giorgio Parisi den Nobelpreis für Physik für bahnbrechende Beiträge zum Verständnis des Klimas und der Klimaerwärmung.
Über ein Jahrhundert lang galt Deutschland als Wiege der Nobelpreise. Namen wie Wilhelm Conrad Röntgen, Robert Koch, Max Planck, Albert Einstein, Otto Hahn, Werner Heisenberg oder Christiane Nüsslein-Volhard prägten das Bild eines Landes, das in Physik, Chemie und Medizin Weltmaßstäbe setzte. Doch die goldene Zeit liegt weit zurück: Seit den 1980er-Jahren sinkt die Zahl der deutschen Nobelpreisträger drastisch. Ein Blick auf die Geschichte zeigt, warum.
Zerstörung und Vertreibung: Der Verlust einer Elite
Die großen Brüche des 20. Jahrhunderts trafen die deutsche Wissenschaft ins Mark. Schon in den 1930er-Jahren vertrieb das NS-Regime viele jüdische und regimekritische Forscher – darunter einige der klügsten Köpfe ihrer Generation. Der Zweite Weltkrieg tat sein Übriges: Universitäten lagen in Trümmern, Forschungsinstitute wurden aufgelöst oder politisch gleichgeschaltet.
Die Folge: ein massiver »Brain-Drain«, der die USA und Großbritannien zu den neuen wissenschaftlichen Zentren machte. Viele der späteren Nobelpreisträger mit deutschen Wurzeln forschten längst im Exil.
Der Wiederaufbau – solide, aber nicht visionär
In den 1950er- und 1960er-Jahren entstand in der Bundesrepublik ein respektables Wissenschaftssystem, getragen von Institutionen wie der Max-Planck-Gesellschaft und der DFG. Doch während Deutschland auf Breite und Solidität setzte, entwickelten die USA ein System, das Einzelne und Exzellenz förderte.
Nobelpreise werden selten für Fleiß oder Organisation vergeben – sondern für mutige Ideen, die bestehende Paradigmen sprengen. Und genau diese Risikofreude wurde in Deutschland zunehmend durch Bürokratie, Hierarchien und Vorsicht gebremst.
Wissenschaft im Wandel: Vom Genie zum Team
Ein weiterer Grund liegt in der Veränderung der Forschungslandschaft selbst. Der Nobelpreis belohnt herausragende Einzelleistungen – doch die moderne Wissenschaft funktioniert anders.
Große Entdeckungen entstehen heute oft in internationalen Teams mit hunderten Beteiligten. Deutsche Forscher sind daran häufig beteiligt, tauchen aber seltener als Hauptverantwortliche auf. So zeigt sich: Deutschland forscht mit – aber nicht immer im Rampenlicht.
Zwischen Förderung und Fessel: Strukturelle Probleme
Die Karrierestrukturen an deutschen Universitäten gelten als veraltet. Lange Qualifikationsphasen, unsichere Perspektiven und hoher Verwaltungsaufwand hemmen den wissenschaftlichen Nachwuchs. Viele Talente zieht es ins Ausland, wo Freiraum, Förderung und Gehalt attraktiver sind.
Hinzu kommt: Fördergelder fließen lieber in Bewährtes als in wagemutige Projekte. Das sichert Stabilität – aber selten bahnbrechende Erkenntnisse.
Ein Land der Forscher, nicht der Nobelhelden
Deutschland bleibt ein Land der Wissenschaft, mit starker Grundlagenforschung, internationalem Ansehen und technischen Innovationen. Doch die Ära, in der Deutsche regelmäßig Nobelpreise erhielten, ist vorerst vorbei.
Der Glanz ist nicht ganz erloschen – aber er leuchtet heute anders: kollektiver, internationaler, weniger heroisch. Übrigens: Das Durchschnittsalter der Nobelpreisträger zum Zeitpunkt Ihrer Auszeichnung lag bzw. liegt bei etwa 59 Jahren. Daraus lassen sich durchaus Schlüsse zu ihren Geburtsdaten sowie dem Umfeld ihrer Sozialisation und der schulischen Bildungslandschaft ziehen, in der sie aufwuchsen. Das ist nur eine mögliche Korrelation, noch keine Kausalität. Oder vielleicht doch …?
¹Von Quantenteilchen, die Barrieren durchbrechen, ARD-aktuell / tagesschau.de, 07.10.2025.
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